Saturn V, die Rakete der Superlative

Der Start der Saturn v Rakete Quelle: Kai Serfling

Die Rakete ächzt und knarzt. Sie bläst weiße Wolken in die flimmernde Luft, als würde sie atmen. Sie bebt. Sie bäumt sich auf wie ein Rennpferd, das den Startschuss nicht erwarten kann. Und die drei Männer, die eingezwängt in einer Kapsel an der Spitze des 110 m langen Geschosses verharren, bekommen all das mit. Jedes Geräusch, jede Erschütterung. Doch jetzt, wenige Sekunden, bevor sie mit mehr als 150.000.000 PS auf eine historische Reise katapultiert werden, können sie nichts mehr daran ändern. Sie können nur noch darauf vertrauen, dass all die Menschen, die an dem Mammutprojekt namens Saturn V beteiligt waren, ihr Bestes getan haben.

5,6 Millionen Einzelteile

Und es waren viele. Rund 400.000 Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker haben zwischen 1961 und 1969 an der Rakete und dem Raumschiff gearbeitet, das am Morgen des 16. Juli 1969 die drei Astronauten Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins Richtung Mond schießen soll. Das Entwicklerteam, rekrutiert unter den Mitarbeitern von 20.000 Firmen und Universitäten, hatte dabei einen klaren Auftrag – eine Maxime, die auch die drei Männer an der Spitze der Rakete in den bangen Sekunden vor dem Start etwas beruhigen dürfte: Die Ingenieure, so die Vorgabe, sollten sich zwar an die Grenzen des damals technologisch Machbaren heranwagen, sie durften sie aber keinesfalls überschreiten. Lieber sicher und konservativ als riskant und übermäßig komplex. Heraus kam ein Wunderwerk der Technik, zusammengesetzt aus 5,6 Millionen Einzelteilen: Ein monströses Vehikel.
Das fängt bei den fünf Haupttriebwerken an, mit ihrem Schub von knapp 3.500.000 Kilogramm. Als sie am Ende des Countdowns aufheulen, merken die drei Männer in der Kommandokapsel zunächst wenig von der immensen Kraft. Nur schleppend kommt die 3.000 Tonnen schwere Rakete in Schwung. Ihre Spitze schwankt hin und her, während die Triebwerke versuchen, die Balance zu halten. Nach zwölf Sekunden lässt die Saturn V den Startturm schließlich hinter sich. Der Weg zum Mond ist frei.

Saturn V Quelle: NASA

Ihre Schockwelle lässt Fenster bersten

Zu diesem Zeitpunkt kommen Lärm und Erschütterungen auch bei den ersten der etwa eine Million Zuschauer an, die nach Cape Canaveral gepilgert sind. Die Schockwelle der Saturn V geht buchstäblich durch Mark und Bein. In 18 Kilometern Entfernung presst der Druck Glasscheiben aus einem Gebäude. Selbst in New York, 1.500 Kilometer Luftlinie vom Startplatz in Florida entfernt, wo sich rund 10.000 Menschen vor großen Bildschirmen im Central Park versammelt haben, registrieren Erdbebenmessgeräte noch die Erschütterungen. Beim ersten Testflug der Rakete, zwei Jahre zuvor, waren im fünf Kilometer von der Startrampe entfernten Pressezentrum sogar Teile der Deckenverkleidung heruntergestürzt.

Dabei wäre noch mehr möglich gewesen. Flüssiger Wasserstoff, gekühlt auf -253 °C, und der ohnehin vorhandene flüssige Sauerstoff hätten als Treibstoffmischung der Rakete zusätzlichen Schub verliehen. Doch die Technik galt Anfang der 1960er Jahre, als die Haupttriebwerke entworfen wurden, als zu riskant, als zu unausgereift. Immerhin musste ein Aggregat entwickelt werden, das die Welt zuvor nicht gesehen hatte und das noch heute, mehr als 50 Jahre später, als leistungsfähigstes jemals gebautes Einzeltriebwerk gilt. Statt auf den heiklen Wasserstoff setzten die Saturn-V-Ingenieure daher auf eine bewährte, nicht ganz so schubkräftige Lösung: Sie kombinierten hochreines Kerosin mit flüssigem Sauerstoff – eine Mischung, mit der die Sowjets zuvor bereits Juri Gagarin, den ersten Raumfahrer, sicher ins All gebracht hatten.

13 Tonnen Treibstoffverbrauch pro Sekunde

Kerosin hatte für die US-Ingenieure einen weiteren Vorteil. Da der Treibstoff dichter ist als Wasserstoff, konnte sein Tank kleiner sein und damit leichter ausgelegt werden. Wobei die Dimensionen trotzdem gigantisch ausfielen: Um Platz für knapp 600 Tonnen Kerosin zu bieten, musste der Tank 13 Meter hoch werden – höher als ein Einfamilienhaus.
Noch größer war der direkt darüber liegende Sauerstofftank. Mit einer Länge von fast 20 Metern bot er Raum für 1.250 Kubikmeter des flüssigen Gases, ähnlich viel, wie in ein 50-Meter-Becken passt. Da reiner Sauerstoff außerordentlich reaktionsfreudig ist und bereits das Hinterlassen eines Fingerabdrucks auf den Tankwänden eine Explosion auslösen kann, war Sauberkeit höchstes Gebot: Die Tanks wurden zunächst ausgespült, mit Säure behandelt, wieder ausgespült, dünn abgefräst, luftgetrocknet und zum Schluss noch einer chemischen Reinigung unterzogen.
Bei einem Treibstoffverbrauch von 13 Tonnen pro Sekunde, die kurz nach dem Start in die fünf Triebwerke gepresst werden und einen fast 300 Meter langen Feuerstrahl erzeugen, können die Tanks allerdings noch so groß sein – ihr Inhalt reicht nur kurze Zeit: Nach zwei Minuten und 41 Sekunden, die Saturn V hat gerade einmal eine Höhe von 70 Kilometern erreicht und kann mit einem Fernglas noch gut beobachtet werden, ist bereits Schluss.
Das frühe Ende kommt mit voller Absicht: Eine einzelne Rakete wäre zu schwer, um jemals die nötige Geschwindigkeit für den Transport eines 50 Tonnen wiegenden Raumschiffes zum Mond zu erreichen. Die Saturn V besteht daher aus drei Stufen – im Prinzip drei übereinandergestapelten, zunehmend kleineren Raketen. Ist die erste Stufe mit ihren fünf Triebwerken und den riesigen Tanks ausgebrannt, wird sie abgetrennt und stürzt zurück zur Erde. Die verbleibende Rakete, nun mit nur noch einem Drittel des ursprünglichen Startgewichts, kann weiter Fahrt aufnehmen.

Saturn V – bis heute eine der sichersten Raketen

Für die drei Männer in ihrer engen Kapsel kommt die Stufentrennung einem Zugunglück gleich, wie sie später zu Protokoll geben werden. Als die Triebwerke der ersten Stufe, die die Crew zuvor mit dem Vierfachen ihres Körpergewichts in die Sitze gepresst hat, plötzlich verstummen, werden die Astronauten nach vorn geschleudert. Nur die Sitzgurte verhindern, dass die Männer auf das Armaturenbrett der Kapsel knallen. Dann, als die zweite Stufe zündet, setzt unvermittelt wieder die Beschleunigung ein.
Da für die leichtere Rakete weniger Schub benötigt wird, müssen die Triebwerke der zweiten Stufe nicht mehr so komplex und hochgezüchtet ausfallen. Daher gingen hier die Raketenbauer unter Führung des deutschen Ingenieurs Wernher von Braun das Risiko ein, anstelle von Kerosin Wasserstoff einzusetzen.
Die Gefahren wurden offenbar gut abgewogen. Mit 13 Starts ohne einen katastrophalen Fehler, davon zehn mit Menschen an Bord, gilt die Saturn V noch heute als eines der sichersten Raumfahrzeuge. Ganz ohne Probleme verliefen die Flüge der größten, schwersten und leistungsfähigsten unter den bislang gestarteten Raketen allerdings nicht: Das Treibstoffgemisch, das mit einem Druck von 60 bar durch mehr als 3.000 Löcher in die Brennkammern der Triebwerke gepresst und dort entzündet wurde, verbrannte oftmals instabil. Manche Triebwerke explodierten auf dem Teststand. Die Lösung war einfach: Techniker bohrten nach einem zufälligen Muster weitere Löcher in den Kopf der Brennkammer. Es gab zusätzliche Verwirbelungen, das Problem verschwand.
Beim ersten Testflug, vor allem aber bei Apollo 13, kam ein weiteres Problem hinzu: Die Treibstoffmassen in der zweiten Stufe gerieten in Schwingung; die ganze Rakete begann zu hüpfen wie ein Pogo-Stick. Zur Sicherheit schaltete sich das mittlere der fünf Triebwerke ab. Der Bordcomputer, der nur 12.190 Operationen pro Sekunde schaffte, weniger als ein Millionstel eines heutigen Prozessors, ließ die anderen Triebwerke zum Glück länger laufen. Die Mission sollte später im Weltraum zwar auf weitere Probleme stoßen, der Start der Saturn V jedoch war gerettet.

Saturn V start Quelle: Getty Images
NASA Quelle: NASA
Saturn V Quelle: NASA